1.12.3Winkelbeschleunigung und Drehmoment
Aufgabe:
Ein m = 500 gschwerer Zylinder (R = 4 cm) kann sich reibungsfrei um einewaagrechte Achse drehen (siehe Abb. 1). Um diesen Zylinder ist ein 2m langer Faden gewunden, der mit der Kraft 1 N vom Zylinder abgezogenwird.
Wir ändertsich die Winkelgeschwindigkeit unter der Einwirkung der Kraft F ?
Nach welcher Zeitist der 2m lange Faden abgespult ?
Abb. 1
Berechnung des Drehimpulses
Die inAchsenrichtung weisende Drehimpulskomponente LA desZylinderdrehimpulses ändert sich unter dem parallel zur Achsewirkenden Drehmoment der Kraft F. Zur Beantwortung dergestellten Fragen muss deshalb LA als Funktion derWinkelgeschwindigkeit ω dargestellt werden. Hierist ωfett gedruckt, womit daraufhingewiesen wird, dass ein Vektor gemeint ist. Unterdem Vektor ω der Winkelgeschwindigkeit verstehen wir einenVektor parallel zur Drehachse, dessen Betrag mit der bekanntenWinkelgeschwindigkeit ω übereinstimmt. DieRichtung von ωist so festgelegt, dass einBeobachter eine Linksdrehung wahrnimmt, wenn ωauf ihn zeigt.
Zunächst suchen wir eine solche Beziehung füreinen einzigen Massepunkt Pi des Zylinders, der sich imAbstand ri von der Achse befindet. SeinenDrehimpuls Liin Bezug auf einen Achsenpunkt Berhalten wir nach:
Li=rBixmi·vi= (rB+ ri)xmi·vi= rBxmi·vi+ rixmi·vi
rBiistder von dem Punkt B ausgehende Ortsvektor von Pi.rBzeigtvon B zu dem Achsenpunkt, um den Pikreist.rBxmi·vibildetmit der Drehachse einen rechten Winkel. rixmi·vi= LAiistdie Komponente des Drehimpulses LiinAchsenrichtung.
|LAi|= ri·mi·vi; vi=ω·ri→ |LAi|= ω· mi·ri2→ LAi=ω·mi·ri2
DerDrehimpulskomponente LAdesZylinders ist gleich der Summe aller LAi.
Dasich die zurAchse senkrecht stehenden Komponenten der verschiedenen Liaus Symmetriegründengegenseitig aufheben istLA der Gesamtdrehimpuls L desZylinders.
LA= ω ·(m1 · r12+ m2· r22 + m3·r32 ..)
Die Summe m1·r12 + m2· r22+ m3· r32 .. ist alsTrägheitsmoment J bekannt.
LA= ω· J; JZylinder der Massem = ½·m · R2
↓
LA=ω·½·m · R2
Fürdie Änderung von LAist das Moment MA = rFx F maßgebend. MA istdie zur Achse A parallele Komponente des Drehmoments M. rF (|rF| = R ) ist ein senkrecht zur Rotationsachsestehender Ortsvektor von einem Achsenpunkt zum Angriffspunkt derKraft (siehe Abb. 1. 12.8 ).
|MA|= R· F → R· F = dLA/dt = J · dω/dt; ω = | ω|;LA= |LA|!
dω/dt= aαheißtWinkelbeschleunigung.
ω = v / R →dω/dt= (dv/dt)/R = a/ R ; v = |v|,a = |a|
a beschreibt sowohldie Beschleunigung des Zylindermantels als auch die des Fadens.
Wie bewegt sichder Faden ?
R·F = J ·dω/dt = J · a/R→ a = F · R2 / J
Der Faden bewegtsich nach s = ½·a· t2.
s = ½ ·(F· R2 / J) · t2 →t2 = 2· s · J / (F · R2); J = ½· m · R2
t2 = s ·m / F → t2 = 2 m · ½kg / 1 N = 1 s2 → t= 1 s
Die hier gestellteAufgabe kann auch mit Hilfe des Energiesatzes gelöst werden. Diekinetische Energie des Zylinders J·ω2/2 nachdem Abspulen des Fadens ist gleich der am Faden verrichteten Arbeits·F.
s·F = J·ω2/2; ω = v / R → s·F = J·[v2 / R2]/2
v = 2·(s/t);v = 2· mittlere Geschwindigkeit !
s·F = J·4· [(s/t)2 / R2] /2 →t2 = 2·J·s /(R2 ·F); J = ½· m · R2 →t2 = s · m / F
Es fällt auf,dass man den Gesetzen der Punktmechanik (Schwerpunktmechanik) zurDrehbewegungen passende Gesetze zuordnen kann, indem man vdurch ω,m durch J, m·vdurchL undF durchM ersetzt.
s= |v|· t | → | α= |ω| · t |
p= m·v | → | L= J · ω |
F= m· dv/dt | → | M= J ·dω/dt |
E = m·v2/2 | → | E = J· ω2/ 2 |
L= J · ωist nicht allgemein gültig, denn Lkann eine andere Richtung haben als ω.Haben Lund ω gleicheRichtungen, dann nennt man die Rotationsachse eineHauptträgheitsachse. Es gibt zu jedem Körper mindestensdrei derartige durch den Schwerpunkt laufende Hauptträgheitsachsen,die senkrecht zueinander stehen (siehe Abb. 2).
Abb. 2
Drehmomente beieiner Richtungsänderung des Vektors L
Nach L = J·ωändert sich der Drehimpuls auch dann, wenn ω eineandere Richtung annimmt. Auch in diesem Fall ist mit einem Drehmomentzu rechnen. Zum Nachweis eines solchen Drehmoments dient das in derAbb.3 sichtbare Instrument, es ist unter dem Namen„Pendelkreisel“erhältlich. Am unteren Ende eines schwingenden Pendels(variable Winkelgeschwindigkeit des Pendels = ω’) rotiertein 420 g schwerer Zylinder mit der Winkelgeschwindigkeit ω umdie Achse eines Elektromotors. Wenn man den Halter des Pendels nichtfest in die Hand nimmt, dann weicht das Pendel quer zurSchwingungsebene aus (weißer Pfeil) und dreht hierbei denHaltegriff. Ein Drehmoment M ( im Sinne einer Drehung gegenden weißen Pfeil) ist erforderlich, wenn die Rotationsachse desZylinders in der Schwingungsebene bleiben soll.
Abb.3Abb.4
In Abb. 4 ist derdem Betrage nach konstante Drehimpuls J·ω inAchsenrichtung des Zylinders vor und nach einer kleinen Zeit Δtdurch
L1 =J·ω1 und L2 = J·ω2dargestellt.
| J·ω1| = | J·ω2 | = J · ω
|ω| = ω
|ΔL| /(J · ω) = α (Bogenmaß)
α = ω’· Δt
↓
|ΔL| =ω’ · Δt · J·ω
↓
|M| = M =|ΔL| / Δt
|M| = ω’· Δt · ω·J / Δt = ω’· ω ·J
Schwingt das Pendelauf einen links stehenden Beobachter zu, dann ist aus dessen Sichtzur Vermeidung einer Rechtsdrehung ein Drehmoment M (M = |M| )im Sinne einer Linksdrehung erforderlich. Nach demWechselwirkungsgesetz übt das Pendel auf die haltende Hand eingleich großes Gegenmoment M’ (M’ = |M’|) aus.
DasVerhalten des Pendels mit rotierendem Zylinder kann auch mitdem Wirken von Corioliskräften erklärt werden (anklicken !).
Zur Messung desGegenmoments M’ lässt man das Pendel genau überder Achse der Wippe schwingen. Während der Schwingung wird einDiagramm gezeichnet, welches dem einer Schwingung ähnelt. Eszeigt eine Drehung der Wippe an, die von der zur Achse parallelenKomponente des Vektors Mʼ verursacht wird. Beim Schwingendurch die Ruhelage erfährt die Wippe ihren maximalen Ausschlag.Mʼ ist in diesem Fall parallel zur Drehachse der Wippe,gleicht deshalb dem Drehmoment der Rückstellfeder und kannanhand der am Diagramm ablesbaren Drehung der Wippe bestimmt werden.
Abb. 5
Zur Messung istFolgendes anzumerken:
Das durch dieRückstellfeder aufgebrachte Drehmoment ist nicht das gesamte aufdie Wippe wirkende Moment. Zur Begründung ist Folgendes zusagen: Der Drehimpuls eines Körpers K in Bezug aufirgendeinen Raumpunkt D ist gleich der Summe aus dem Drehimpuls LPin Bezug auf den Schwerpunkt und dem Drehimpuls LSdes Schwerpunkts.
Lg= LS + LP
Der Zylinder drehtsich nicht nur um die Motorachse, sondern infolge der Pendelbewegungauch noch um eine zur Schwingungsebene senkrechte HauptträgheitsachseA2 (siehe Abb. 1.12.11).Infolgedessen ist LP eine Summe ausω ·J und einem durch ω’ bedingtenAnteil L’.
Lg= LS + (ω ·J + L’)
Wir betrachten dieGlasplatte der Wippe mit dem Pendelkreisel als ein System S. DerBezugspunkt D des Drehimpulses liege auf der Drehachse der Wippe. Indiesem Fall hat L’ + LS keinenEinfluss auf die Drehung der Wippe, weil L’ + LSmit der Wippenachse einen rechten Winkel bildet. Dies gilt auchfür die Änderung dieser Summe und des daraus resultierendenMoments. d(J·ω)/dt ist für die Drehung derWippe maßgebend. Die zur Wippenachse parallele Komponente vond(J·ω)/dt wird von der Rückstellfederaufgebracht. Beim Durchschwingen der Ruhelage stimmt diese mitd(J·ω)/dt überein.
Auch das Drehmomentdes Elektromotors beim Beschleunigen des Zylinders kann mit derExperimentierwippe gemessen werden. Der Pendelkreisel wird so an derWippe befestigt, dass die Zylinderachse zur Drehachse der Wippeparallel ist (siehe Abb.6). Das Gegendrehmoment des Zylinders drehtdie Wippe geringfügig. Anhand dieser Drehung kann dieses Momentbestimmt werden. Mit der hier sichtbaren Anordnung wurden ca. 5·10-3N·m gemessen.
Abb.6Abb.7
Drehmoment undGegendrehmoment
Mitdem Pendelkreisel kann sehr schön gezeigt werden, dass jedemDrehmoment ein dem Betrage nach gleiches Drehmoment entgegenwirkt. Inder Abb.7 sehen wir den Pendelkreisel an einem Faden hängen.Beginnt die Drehung des Zylinders, dann dreht sich der obere Teil desPendels mit entgegengesetztem Drehsinn. Dieses Experiment kannauch zur Demonstration des Drehimpulssatzes dienen.
Aufgaben